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Geschichte Killing Fields

Der blutigste Krieg der Neuzeit tobte in – Paraguay

Freier Autor Geschichte
Vor 150 Jahren kam in Paraguay Francisco López an die Macht. Er führte Krieg gegen die Triple-Allianz seiner Nachbarn. Rund 56 Prozent der Bevölkerung und 80 Prozent aller wehrfähigen Männer starben.

Dass auch die westliche Hemisphäre das Zeug zum totalen Krieg hatte, bewies das Jahr 1862. Im Sommer vor 150 Jahren kam es im amerikanischen Bürgerkrieg am Antietam in Maryland zu einer Schlacht, die als der blutigste Tag in die Geschichte der USA eingegangen ist. Weder ein Tag in Gettysburg, noch die Landungen in der Normandie oder auf Okinawa, noch der 11. September 2001 forderten einen derartigen Blutzoll wie dieses Aufeinandertreffen zwischen Nord- und Südstaaten.

Im gleichen Jahr ergriff viele tausend Kilometer südlich, in Paraguay, ein Mann die Macht, der kurz darauf in den verlustreichsten Krieg ziehen sollte, der in den letzten Jahrhunderten auf diesem Planeten ausgetragen wurde. Der Mann hieß Francisco Solano López und erbte von seinem Vater gleichsam das Land. Im sogenannten Krieg der Triple-Allianz kämpfte er von 1864 bis 1870 gegen Brasilien, Argentinien und Uruguay.

"Wie ein Volk kämpfen kann"

US-Historiker haben beide Kriege wiederholt verglichen, wenn sie die Kriegsanstrengungen der Südstaaten konturieren wollen: Während dieser "nur" vier Jahre lang kämpfte, hielt Paraguay sechs Jahre lang den Krieg gegen drei Staaten durch, deren Gesamtbevölkerung dreißigmal größer war. In der paraguayischen Armee kämpften nahezu sämtliche Männer zwischen zwölf und 60 Jahren; das Land verlor in diesem Krieg 56 Prozent seiner Gesamtbevölkerung (von etwa einer halben Million) und 80 Prozent der Männer im wehrfähigen Alter.

Demgegenüber, so eine Gruppe von amerikanischen Historikern 1986, "nimmt sich die Kriegsanstrengung des Südens dürftig aus. "Denn im Bürgerkrieg kamen nur fünf Prozent der weißen Bevölkerung des Südens und 25 Prozent der weißen Männer im wehrfähigen Alter ums Leben. Zwar verlor Paraguay letzten Endes den Krieg doch, aber "sein Durchhaltevermögen ... beweist immerhin, wie ein Volk kämpfen kann, das von einem unbeirrbaren Glauben getragen wird."

Für eine höhere Glaubenssache

Wohlgemerkt, bei den Autoren handelt sich um akademisch angesehene Forscher. Nicht auszudenken, wie sie den Endkampf des Hitler-Regimes interpretieren würden, das zum Glück offenbar nicht von einem derart "unbeirrbaren Glauben" getragen wurde, weil es ebenfalls nicht derartige prozentuale Verlustziffern erreichte. Die absoluten Zahlen waren ungeheuer genug.

Auch die Vorstellung, die Menschen von Paraguay seien für eine höhere Glaubenssache in den Tod gezogen, zeugt von hochgradig verzerrter Wahrnehmung. Während das NS-Regime seine Untertanen auf eine rassistische Ideologie festzulegen suchte, tat es López auf das Charisma seiner Familie. Kurz nach der Unabhängigkeitserklärung Paraguays von der spanischen Krone 1811 war es einem gewissen José Gaspar Rodríguez de Fancia gelungen, sich zum Diktator aufzuschwingen. Kurz nach seinem Tod 1840 konnte sein Neffe Carlos Antonio López die Macht ergreifen, der sie wiederum an seinen Sohn weiterreichte.

Selbstbewusstsein ohne Grenzen

Dem Clan kam dabei zugute, dass das damals doppelt so große Land im Herzen Südamerikas weltmarktwichtige Rohstoffe produzierte, deren Handel der Staat beizeiten kontrollieren konnte. Bereits Francia verstaatlichte weite Teile des Kirchen- und Großgrundbesitzes, schottete das Land ab und führte eine straffe Verwaltung ein, die sein Nachfolger um den militärischen Faktor ergänzte. Eine Berufsarmee nach preußischem Vorbild entstand, dazu eine Kette von Festungen und eine Flussmarine und ein hocheffizienter Unterdrückungsapparat mit einem Spitzelsystem, das jegliche Opposition unterdrückte.

Als Francisco López an die Macht kam, verfügte er über einen der entwickeltsten und reichsten Staaten des Halbkontinents, ein gedrilltes Heer von 80.000 Mann und ein Selbstbewusstsein, das alle Grenzen sprengte. Als eine Bürgerkriegspartei im Nachbarland Uruguay ihn um Hilfe bat, gewährte er diese nicht nur umgehend, sondern erklärte auch gleich den Unterstützern der Gegenpartei, Brasilien und Argentinien, den Krieg.

Kommandeure wurden hingerichtet

Während Paraguays Truppen in den Osten Brasiliens einfielen, siegten ihre Gegner in Uruguay, so dass es López schließlich mit drei Feindmächten zu tun hatte. In dem Maße, wie diese ihre überlegenen Ressourcen mobilisieren konnten, schwanden die Siegesmeldungen von Paraguays Militärs. López reagierte in der Regel damit, dass er nicht nur die Boten, sondern bald auch ihre Absender, die Kommandeure, hinrichten ließ.

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Bereits Mitte 1865 kämpfte López getreu seines Mottos "Sieg oder Tod" nur noch ums Überleben. Unterstützung fand er bei seiner Geliebten, einer Irin mit Namen Eliza Lynch, die eigene "Amazonen-Regimenter" aufstellte. Während er mit einem regelrechten Terrorsystem, das an die SS-Gruppen hinter den wankenden Fronten des NS-Regimes erinnert, seine Soldaten in sinnlose Kämpfe bis zum letzten Mann schickte, hielt Lynch als Regentin in der Hauptstadt Asunción die Stellung.

Als "Flutwelle aus Menschenfleisch" haben Zeitgenossen López beschrieben, als "veritables Mastodon mit pfirsichförmigem Gesicht ... und schwer herabhängenden Hamsterbacken", der sich als größter Feldherr Amerikas inszenierte. Seine Leute dagegen mussten bald im Lendenschurz kämpfen und sich von dem ernähren, was der Urwald zu bieten hatte.

Paraguay verlor 50 Prozent seines Gebiets

Am Ende erwog der Diktator gar, seine Leute zum Massenselbstmord zu treiben. Stattdessen ließ er Asunción räumen und schickte seine Bewohner auf Todesmärsche in den Dschungel. Als seine Mutter ihn zur Räson bringen wollte, ließ er sie auspeitschen und unterzeichnete anschließend ihr Todesurteil. Beim Endkampf seiner Kinder und Greise mit brasilianischen Truppen wurde er schließlich getötet.

Im Friedensvertrag musste Paraguay auf 144.000 Quadratkilometer verzichten. Das waren fünfzig Prozent seines Staatsgebiets, weite Teile des Landes wurden besetzt. Das Gros der männlichen Bevölkerung war tot. Auf den "Killing Fields" von López, so der britische Militärschriftsteller Geoffrey Regen, sollen nur 28.000 männliche Erwachsene überlebte haben.

Paraguay wurde zum Armenhaus Lateinamerikas und ist es seitdem geblieben. Umso erstaunlicher ist es, dass die folgenden autoritären Regime es sich nicht nehmen ließen, López zum Nationalheros zu erklären und um ihn eine Erinnerungskultur zu formen, die das Opfer auf dem Altar der Nation ins Zentrum stellt. Eine ähnliche Deutung Hitlers blieb uns glücklicherweise erspart.

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